Vorsingen, der Blog für die letzten 100 Meter auf dem Marathon zur Professur

Schwerbehinderung bei der Bewerbung auf eine Professur angeben?

Krebserkrankung, Depression, Multiple Sklerose – viele Wissenschaftler*innen leben mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen, ohne darüber zu sprechen. Immer wieder werde ich vertraulich gefragt, ob es strategisch sinnvoll ist, dies bei einer Bewerbung auf eine Professur offenzulegen. In der Kolume "Unter 4 Augen" in der DUZ 12/24 beleuchte ich die Vor- und Nachteile.

Ich bin frisch habilitiert und bewerbe mich auf eine W2-Professur. Durch eine geheilte Krebserkrankung habe ich noch für mindestens vier Jahre einen Schwerbehindertenstatus von 50 Prozent. Ist es strategisch klug, dies in der Bewerbung anzugeben oder soll ich es lieber lassen?

Coachin Franziska Jantzen antwortet: Wäre Ihre Frage eine gesellschaftspolitische, wäre die Antwort einfach. Andrew Parsons, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, sagte in seiner viel beachteten Eröffnungsrede für die Paralympischen Spiele 2024: „Es lebe die Revolution der Inklusion!“

Weniger programmatisch, dafür mehr mit verbindlichen Regelungen, wie zum Beispiel im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), versucht der deutsche Gesetzgeber, Menschen mit Beeinträchtigungen den Zugang zum Arbeitsplatz zu ermöglichen.

Die Antwort müsste also heißen: Selbstverständlich, geben Sie Ihren Status an! Leider sieht der Alltag in der akademischen Welt weniger revolutionär aus.

Nüchtern betrachtet gilt es, je nach Situation abzuwägen, ob es für Sie mehr Vor- als mögliche Nachteile hat, über Ihren Schwerbehindertenstatus zu informieren. Ihr Vorteil ist, dass Sie in fast allen Fällen eingeladen werden (müssen), wenn Sie Ihre Schwerbehinderung angegeben haben und Ihr Profil auch nur annähernd auf die ausgeschriebene Stelle passt.

Insbesondere wenn es in Ihrem Fachgebiet viele Bewerbungen auf eine Professur gibt, ist das natürlich eine große Chance, denn Sie können die Berufungskommission persönlich von Ihrem Profil und Ihren Zielen für Forschung und Lehre überzeugen.

Vielleicht haben Sie aufgrund Ihrer Erkrankung in den vergangenen Jahren nicht so viel lehren und publizieren können wie andere und das ist in Ihrem Lebenslauf sichtbar. Hier kann die Schwerbehindertenvertretung helfen und sich zum Beispiel dafür einsetzen, dass Ihr akademisches Alter herabgesetzt wird. So wären Sie konkurrenzfähiger. Allerdings gibt es keine Verordnungen, die das zwingend vorschreiben.

Leider können Sie nicht in die Köpfe der Auswählenden hineinschauen. Die academic community ist extrem auf Höchstleistung, Erfolg und unbegrenzte Belastbarkeit ausgerichtet. Und so mag es Kommissionsmitglieder geben, die – ohne es auszusprechen – zweifeln, ob Ihre Performance in der Zukunft beeinträchtigt sein könnte: „Was hat sie denn? Wird sie womöglich wieder krank? Kann sie das geforderte Pensum leisten?“

Die Kommission darf Sie nämlich nicht fragen, welche Krankheit Sie haben. Informationspflicht besteht nur, wenn Ihre Beeinträchtigungen eine Umgestaltung oder Neuorganisationen des Arbeitsbereichs erfordern. Zweifel sind immer ein Nachteil.

Hier könnte es hilfreich sein, zuvor mit der Schwerbehindertenvertretung der Hochschule Kontakt aufzunehmen und ihr mitzuteilen, welche Informationen sie an die Kommission weitergeben darf oder soll. In Ihrem Fall wäre es eventuell möglich zu sagen, dass Sie seit der Heilung ganz regulär allen mit der Professur verbundenen Tätigkeiten in vollem Umfang nachgehen können. Wenn Sie möchten, können Sie das auch selbst im Bewerbungsgespräch mitteilen.

Ein weiterer Vorteil ist zudem, dass Sie viel Übung im Vorsingen bekommen. Damit ist allerdings auch viel Arbeit verbunden. Wollen Sie diese Zeit investieren oder vielleicht lieber intensiv an Ihrem aktuellen Forschungsprojekt arbeiten? Oder möchten Sie auf den Einladungsbonus und den möglichen Support durch die Schwerbehindertenvertretung verzichten, um mögliche Vorbehalte erst gar nicht aufkommen zu lassen?

Wägen Sie gründlich ab, was für Sie die beste Option ist.

Linktipp: https://sag-ichs.de/start Die Webseite wurde im Rahmen eines Projektes der Universität zu Köln entwickelt. Sie unterstützt Menschen in der Entscheidungsfindung, ob sie am Arbeitsplatz über ihre Beeinträchtigung sprechen möchten oder nicht.

Franziska Jantzen, DUZ 12/24, S. 53
Bild: KI generiert

15.04.2025

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Franziska Jantzen
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