Diese Frage stellt eine Biologin. Beantwortet habe ich sie am 9.11.20 in der Rolle von Dr. acad. Sommer im wunderbaren Newsletter Wissen3 der ZEIT.
ZEIT-Newsletter Wissen³, 9.11.2020
Ich bin Biologin und erstmals zum „Vorsingen“ eingeladen. Auch wenn es vielleicht nebensächlich scheint, treibt mich grade die Frage um, was ich anziehen soll. Ich trage normalerweise immer Jeans, T-Shirts und Sneakers. Dann habe ich noch mein nicht mehr ganz neues, aber sehr geliebtes „Tagungsjackett“. Reicht das oder muss ich mich verkleiden?
Liebe X,
das Thema Kleidung fürs Vorsingen wird oft diskutiert, übrigens häufiger von Frauen als von Männern, nicht nur, aber auch weil das Spektrum der Möglichkeiten für sie größer ist.
Wäre es nicht praktisch, wenn mit der Einladung zum Berufungsvortrag gleich noch Hinweise zum Dresscode kämen?
Angelehnt an die Einladung zum Staatsbankett oder zur Nobelpreisverleihung, könnte es doch hier heißen: „Bewerberinnen auf W2-Professuren tragen zum hellblauen Anzug dunkelgrüne Sneakers mit gelben Schnürsenkeln. Für W3-Stellen empfehlen wir goldene Schnürsenkel“.
Einen vergleichbaren Code gab es übrigens früher am Uniklinikum Eppendorf in Hamburg: Die Chefärzte und Lehrstuhlinhaber schlossen dort ihre sogenannten Eppendorfer Kittel mit silbernen Knöpfen, während das medizinische „Fußvolk“ durch weiße Kunststoffknöpfe erkennbar war. Anachronistisch aus heutiger Perspektive, aber die Spielregeln waren klar.
Solche Codes gibt es, wenn auch weitaus diffiziler zu erkennen, heute immer noch. Am einfachsten haben es die (männlichen) Maschinenbauer im Unialltag; das karierte Hemd ist legendär.
Welche Form der Selbstinszenierung als angemessen wahrgenommen und worauf eher mit hochgezogener Augenbraue reagiert wird, unterscheidet sich von Fach zu Fach.
Es geht bei der ganz simplen Frage: „Was soll ich bloß anziehen?“ also nicht nur um Farben, Stoffe und Schnitte, sondern eben auch um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fach- und Statusgruppe.
Hilfreich können vielleicht diese Empfehlungen sein:
- Gute Hinweise zum Dresscode bekommen Sie auf Tagungen. Was tragen Professorinnen bei Hauptvorträgen Ihrer (deutschen) Fachgesellschaft?
- Eindeutig nicht-studentische Kleidung markiert auch visuell, dass Sie sich bereits in der neuen Rolle sehen, die sogenannte Statuspassage schon vollzogen haben. Sich „verkleiden“ kann also sogar zur mentalen Stütze werden. So wie Sie es von Ihrem „Tagungsjackett“ bereits kennen, können Sie auch mit einem Bewerbungsoutfit die neue Identität sozusagen anziehen. Auch Schauspieler*innen spüren diesen Effekt, wenn sie mit Hilfe des Kostüms noch intensiver mit der Rolle verschmelzen.
- Wenn Sie sehr interdisziplinär arbeiten, ist es eine gute Idee, sich am Profil der ausgeschriebenen Stelle zu orientieren. So ist in der Medizin die Kleidung bei offiziellen Anlässen deutlich formeller als in Communities, in denen Sie selbst ins Feld gehen.
- Dieser Trick wirkt immer: Elegante Schuhe, eine dazu passende Akten- oder Handtasche und dezenter Schmuck werten ein Outfit auf.
- Und ganz aktuell wichtig für Online-Verfahren: Kleine Muster „flirren“ manchmal unschön in der digitalen Übertragung (sogenannter Kreuzraster- oder Moiré-Effekt).
- Lassen Sie sich ruhig vorab von befreundeten Kolleg*innen Feedback geben: Sehe ich in diesem Outfit wie eine Professorin aus? # (Das wird sicher Anlass zur spannenden Diskussionen geben, denn was ist eigentlich professoral und wer definiert es?).
Sollten Sie nach all den Überlegungen bei Ihrem informellen Kleidungstil bleiben, achten Sie darauf, dass die Kleidung neu und wertig ist:
Die Jeans dunkelblau statt ausgewaschen, Ihr altes Jackett durch ein gut sitzendes und nicht knitterndes Upgrade ersetzt. Sneakers können lässig und modern aussehen, nur wissen das bisweilen ältere oder etwas weniger modeinteressierte Kommissionsmitglieder nicht.
Wie auch immer Sie sich entscheiden, ich wünsche Ihnen alles Gute fürs Vorsingen!
Franziska Jantzen arbeitet als Beraterin, Trainerin und Coach im Wissenschaftsbereich. Sie schreibt für das Coachingnetz Wissenschaft als Dr. acad. Sommer. Kontakt: www.jantzen-entwicklungen.de und www.coachingnetz-wissenschaft.de.
Auch eine Frage an Dr. acad. Sommer? Schreiben Sie an wissendrei@zeit.de, twittern Sie
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(c) Franziska Jantzen
Foto: unsplash
16.12.2020